Mehr als 350 Menschen sind in den vergangenen drei Monaten in Nicaragua im Konflikt zwischen regierungsnahen Paramilitärs und Polizei auf der einen Seite und Regierungskritikern auf der anderen Seite getötet worden. Zudem gab es mehr als 2.000 Verletzte, Hunderte Menschen wurden inhaftiert oder sind verschwunden.
„Die aktuelle Situation ist sehr gewalttätig, man tut alles, um weitere Proteste zu unterbinden. Vor allem paramilitärische Truppen, von der Ortega Regierung als Hilfspolizisten bezeichnet, gehen extrem gewalttätig gegen die eigene Bevölkerung vor. Sie streifen schwer bewaffnet durch das Land und schüchtern die Bevölkerung ein, um weitere Demonstrationen der Regierungsgegner zu verhindern“, berichtet Dominik Piper, Länderreferent für Nicaragua bei Misereor.
Die derzeitige Situation in Nicaragua erinnert an längst vergangene Zeiten, als in den 1970er und -80er Jahren die nicaraguanischen Sandinisten ihren Sieg über das Somoza-Regime feierten. Damals wurde Nicaragua international zur Projektionsfläche für viele unerfüllte Wünsche nach einer sozialistisch geprägten Gesellschaft. Die neue Regierung verstaatlichte Schlüsselindustrien und leitete eine Landreform ein, von der vor allem die armen Kleinbauern profitierten. Der Boden sollte nicht mehr der Gier weniger, sondern dem Wohle vieler dienen. Das war 1979. Heute ist es komplett anders, denn derjenige, den die Demonstranten nun absetzen wollen, ist ein ehemaliger Anführer der Linken in Nicaragua, der sich in einen selbstgerechten Machthaber verwandelt hat. Auch die Partnerkooperativen im Fairen Handel sind von den anhaltenden sozialen und politischen Unruhen überrascht worden und werden dadurch an ihrer alltäglichen Arbeit massiv gehindert.
„Wir sind in ständigem Kontakt mit den Kaffeegenossenschaften“, heißt es bei der GEPA, „viele Bäuerinnen und Bauern sind verunsichert. Sie haben Angst, dass kommerzielle Importeure abspringen, ihnen nächstes Jahr keinen Kaffee mehr abkaufen.“ Fátima Ismael, Geschäftsführerin des Kooperativen-Dachverbandes SOPPEXCCA: „In der Tat hatten wir in den letzten drei Monaten mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wir schätzen den Verlust auf ca. 100.000 US-Dollar.“ Das führte zu Stillstand, Büros und Cafeteria mussten geschlossen werden. Auch die Bauern können sich nicht mehr wie gewohnt um die Feldarbeit kümmern, weil sie nach anderen Erwerbsmöglichkeiten suchen, um ihre Familien zu ernähren. Aufgrund verspäteter Exporte konnte SOPPEXCCA nicht rechtzeitig den Verpflichtungen der Kreditgeber nachkommen und musste höhere Zinsen zahlen. Fátima Ismael: „Wir bezahlen unsere Mitglieder, wenn auch verspätet. Wir geben Dünger ab trotz der Sperren und Tumulte.“ Sie will sich trotz aller Herausforderungen nicht unterkriegen lassen: „Wir müssen Kaffeekämpfer sein in Zeiten des Friedens und auch in der Not. Wir hoffen und vertrauen darauf, dass wir aus dieser Situation herauskommen werden, als Land wie auch als Organisation, und dass wir uns nach und nach von dieser Katastrophe erholen werden.“ Der Genossenschaftsverband der Kaffeekleinbauern aus Nicaragua fasst die Situation in einer Stellungnahme so zusammen: „Wir machen weiter, um die Produktion für diesen Erntezyklus und die Aussaat zu gewährleisten.“ Das ist auch wichtig, um für Ernährungssicherheit vor Ort zu sorgen. „Derzeit haben wir 70 Prozent unseres Kaffees exportiert; der Rest befindet sich noch in unseren Lagern.“ Daysi Mendez vom Kooperativenverband Tierra Nueva, die zurzeit in Leipzig zu Besuch bei Cafe Chavalo ist, berichtet: „Die Preise für Lebensmittel sind spürbar gestiegen. Bohnen kosten nun 25 statt 15 Cordobas pro Libra und der Mais kostet inzwischen fast zehn Cordobas. Vorher waren es vier. Auch die Transportkosten sind deutlich höher als früher. Eine Busfahrt aus Boaco zum Beneficio kostet jetzt 30 statt vorher 24 Cordobas. Zeitweise fuhren gar keine Busse, sodass wir mit dem Taxi ins Beneficio fahren mussten. Das kostete 80 Cordobas täglich. Für manche Bauern bedeute das nun, dass sie sich eigentlich keine Fahrten mehr leisten können und stattdessen stundenlang zu Fuß unterwegs sind. „Und bei den Preisen kann man nun gar nichts mehr ansparen.“
Die Liefersituation in Nicaragua normalisiert sich, es gab Verzögerungen bei der Lieferung von Rohkaffee aus Nicaragua. Den Kaffee außer Landes zu bringen ist derzeit jedoch nicht einfach. Aber bitter nötig. Denn auf Grund der Unruhen ist die wirtschaftliche Situation des Landes angespannt. Die GEPA konnte das jedoch durch den Abbau von Reserven auffangen. Auch beim Honig gab es noch keine Engpässe. El Puente berichtet, dass der Nicaragua-Honig zuletzt mit einem Kühltransport gebracht wurde, weil nicht absehbar ist, wie lange der Container tatsächlich unterwegs sein wird, wie und wann die Straßensperren passierbar sind. „Damit der Honig in der Hitze nicht verdirbt, haben wir auf den gekühlten Transport zurückgegriffen“, sagt Anna-Maria Ritgen von El Puente. Auch dwp empfiehlt, auf jeden Fall weiter zu bestellen: "Damit die dort aufgebauten Strukturen und Genossenschaften weiter gestärkt werden und wir ein klares Zeichen der Solidarität an die dortigen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern schicken", sagt Michael Lindlbauer. Aufgrund der politischen Krise in Nicaragua und dem klimabedingtem Ernteausfall in 2017 konnte über mehrere Monate kein Honig importiert werden. "Im September werden wir wieder lieferfähig sein und würden uns freuen, wenn möglichst viele Weltläden z.B. Kaffee & Honig unseres Fair-Handelspartners COSATIN bestellen."
„Mein Rat an die Weltläden: den Kaffeeverkauf intensivieren und daraus noch mehr bestellen“, empfiehlt Kleber Cruz. Denn: „Zu den Unruhen, die den Alltag der Kaffeebauern beeinträchtigen, kommt noch hinzu, dass die Preise auf dem Kaffeemarkt gesunken sind.“ Das ist jetzt das wahre Problem. Mit einem Mindestpreis von 190 US$/100lb (inkl. Prämien) für Bio und Fair stellt der Fairer Handel für viele Organisationen einen Rettungsanker dar, aber nur dann, wenn die Kooperativen zu 100 Prozent oder zum großen Teil an den Fairen Handeln verkaufen können.
Die Infrastruktur in Nicaragua ist seit der Regierung Ortegas so gut, wie noch nie: Das Straßennetz ist im mittelamerikanischen Kontext gut ausgebaut, man kommt relativ gut in abgelegene Dörfer und bis vor Kurzem war die Kriminalität kein Thema für die Bevölkerung. Nicaragua schien ein sicheres Land zu sein. Jedes Dorf hat eine Schule, das Gesundheitssystem funktioniert relativ gut. Vor allem die ländlichen Gebiete haben von der Politik der Sandinisten stark profitiert. „Für viele waren Aufstand und Unruhen eine echte Überraschung, damit haben sie wirklich nicht gerechnet. Es muss aber nicht so verstanden werden, dass die ländliche Bevölkerung in ihrer Gesamtheit Anhänger von Ortega ist.“ So gibt es in den Genossenschaften und Kooperativen, mit denen die GEPA zusammenarbeitet, als auch Ortega-Anhänger, als auch Gegner. Das stellt die Bauerorganisationen vor eine schwierige Situation... für die eine oder die andere, denn wenn sie Partei für eine oder für die andere Gruppe ergreifen, wird die Genossenschaft auseinanderbrechen. „Es muss nur ein kleines Problem auftreten, dann könnte die Situation explodieren. Die Menschen leben im Moment wie auf einem Pulverfass. Dabei sind politische Stabilität und Struktur extrem wichtig für das Land.“ Auch für Produzierende aus dem konventionellen Handel, denn die Unsicherheit könnte dazu führen, dass Verträge nicht erfüllt werden können und kein Kaffee mehr abgesetzt wird. „Keine Verträge bedeutet keine Kredite, keine Betriebsmittel, andere Produkte werden nicht angebaut, Tagelöhner können nicht beschäftigt werden. Dazu kommt noch die Folge des Klimawandels“, sorgt sich Kleber Cruz.
Der Nicaragua-Kaffee hat Ende der 1970er Jahre dafür gesorgt, dass der Faire Handel zur politischen Solidaritätsbewegung wurde. Seit dem Sieg der Sandinistischen Revolution bevorzugten die damaligen Dritte-Welt-Gruppen den Solidaritätskaffee aus Nicaragua und erwarteten, dass auf den Beipackzetteln die Situation in Nicaragua so dargestellt wurde, wie die linke Szene sie sah. Die GEPA führte – nicht ohne kritischer Auseinandersetzung der Gesellschafter – den Nicaragua-Kaffee ein: Rot-Schwarze Plastikbeutel mit viel Text. Die Geburtsstunde der Sandino-Dröhnung war im Juni 1980, als die ersten Pakete zum Verkauf angeboten wurden. Damals kam dieser Kaffee übrigens keineswegs aus kleinbäuerlichen Strukturen, er galt vornehmlich als Ausdruck der Solidarität mit Nicaragua. Auf dem Evangelischen Kirchentag 1987 in Erfurt boten ostdeutsche Dritte-Welt-Gruppen Nica-Kaffee unter dem Motto „Statt Jacobs Krönung trink Sandino-Dröhnung“. Heute gibt es Kleinbauern-Kaffees aus Nicaragua von den Fairhandels-Organisationen; der Hamburger Verein El Rojio vertreibt die Sandino-Dröhnung noch immer – mittlerweile kommt er von der Kooperative SOPPEXCCA.