Bei TPI in Indien entscheiden Teearbeiter/-innen mit, wofür die Mehrpreise des Fairen Handels verwendet werden

Foto: Gundis Jansen-Garz

Kritik am Fairen Handel!

Eine Dokumentation des Fernsehsenders ARTE sorgt für Diskussion und Irritation bei den Weltläden und Fairhandels-Organisationen

Am 6. August hat der Fernsehsender ARTE eine Dokumentation des französischen Filmemachers Donatien Lemaitre ausgestrahlt, die bereits im Vorfeld der Sendung für Aufregung sorgte. So hat TransFair vorab Hintergrundinformation veröffentlicht, in der sie auf die problematischen Passagen der Dokumentation hingewiesen hat. Im Anschluss an die Sendung gab es einen Live-Chat mit Geschäftsführer Dieter Overath und eine Stellungnahme.

Da auch die GEPA in dem Beitrag erwähnt wurde, kam im Nachklang eine Kundeninformation von Geschäftsführer Thomas Speck. Der Weltladen-Dachverband hat eine Vorab-Information des katholischen Nachrichtendienstes (KNA) veröffentlicht, die sich ebenfalls mit dem Film auseinandergesetzt hat.

In dem Beitrag „Der Fairer Handel auf dem Prüfstand“ wird zunächst einmal die Idee des Fairen Handels geschichtlich erläutert. Einzelne Projekte werden vorgestellt. Die Hauptkritik des Autors ist die zunehmende Präsenz des Fairtrade-Siegels im Supermarkt und die Partnerschaften mit multinationalen Konzernen. Außerdem wird auf fehlende Kommunikation und Wanderarbeiter hingewiesen, die nicht von Fairtrade profitieren. In einem ARTE-Interview sagt Donatien Lemaitre: „Mein Film zeigt, dass Fairtrade bereits Großes umsetzen konnte. Allein die Transparenz, dass man die Kette vom Produkt bis zum Produzenten nachvollziehen kann, ist eine große Errungenschaft von Fairtrade. Auch wenn nicht alles perfekt ist in der Kette, haben wir dank dieses Labels erste Informationen darüber, wie unser Tee, unsere Bananen, unser Kaffee am anderen Ende der Welt produziert werden. Über die Produktionsweise der anderen Produkte wissen wir gar nichts. Also ist Fairtrade meiner Meinung nach in jedem Fall vorzuziehen. Mein Film soll die Verbraucher informieren und sensibilisieren, mit dem Ziel, dass sich Fairtrade - auch unter dem Druck der Öffentlichkeit - weiterentwickelt und verbessert.“

Gleichzeitig kritisiert er in seinem Film den Fairen Handel und zweifelt dessen Nutzen an. „Problematisch daran ist, dass die Handelsriesen bei den fair gehandelten Produkten besonders große Gewinnmargen einstreichen. Der Verbraucher zahlt einen höheren Preis. Aber von dem Geld, das Bedürftige unterstützen soll, bleibt der größte Teil beim Händler. Und das ist legal, weil Fairtrade den Händlern keinen Verhaltenskodex  vorschreibt.“ (Zitat aus Interview).

 

Das zeigt, wie komplex der Faire Handel ist. Ein Gut oder Böse, Richtig oder Falsch greift da zu kurz. Die Rechte von Wanderarbeiter/-innen und auch von Leiharbeiter/-innen lassen sich mit den bisherigen Instrumenten des Fairen Handels nicht schützen. Der Faire Handel ist somit als Prozess zu sehen, der sich ständig weiterentwickeln muss. Mag es bei einigen Firmen eine reine Marketingstrategie sein, FairTrade-Produkte ins Sortiment zu nehmen oder einen Teil ihrer Produkte zertifizieren zu lassen, so zeigt sich doch, dass der Faire Handel ein alternatives Wirtschaftsmodell ist, das bei aller Kritik greift. Das zeigt nicht zuletzt die kürzlich erschienene Wirkungsstudie von TransFair. Zudem gibt es viele Überzeugungstäter/-innen, die sich für eine stetige Entwicklung des Fairen Handels einsetzen. Der Film kann Anregung zur Diskussion sein und dem Fairen Handel mehr nützen, denn schaden.

Gundis Jansen-Garz

 

 

Welt&Handel hat die jeweiligen Hintergrundinformationen bzw. Stellungnahmen gebündelt veröffentlicht. Wer den Film nicht gesehen hat, kann dies hier nachholen:
future.arte.tv/de/thema/wie-fair-ist-fairtrade 

 

TransFair-Stellungnahme nach Ausstrahlung der Sendung:

„Den Fairen Handel auf den „Prüfstand“ zu stellen bedeutet auch, ausgewogen zu berichten und positive Aspekte zu berücksichtigen. Wenngleich die Vorteile für die Kleinbauern durch Fairtrade am Anfang erwähnt werden, bedauern wir, dass die Dokumentation den vielfältigen positiven Entwicklungen so wenig Beachtung schenkt und stattdessen in ihrer gesamten filmischen und inhaltlichen Machart auf eine klare negative Polarisierung abzielt. Dies ist umso bedauerlicher, als dass der Journalist in seinem Interview mit Barbara Bouillon auf der Website von Arte selbst aussagt, Fairtrade habe „Großes“ umgesetzt und unter anderem die Transparenz der Lieferkette als Errungenschaft des Fairen Handels hervorhebt.

Fairtrade und Arbeiterinnen und Arbeiter auf Plantagen
Bereits seit 2001 schließt Fairtrade auch Arbeiterinnen und Arbeiter auf Plantagen in den Produktbereichen Tee, Kräutertee, Früchte, Blumen, Frischgemüse, und Wein mit ein. Wenn eine Plantage die Anforderungen des aktuellen Fairtrade-Plantagenstandards erfüllt, so muss man ihr gemäß der weltweit führenden Akkreditierungsnorm ISO 65, nach der sowohl FLO als auch FLO-Cert akkreditiert sind, eine Fairtrade-Zertifizierung gestatten. Der Ausschluss einer Plantage wegen der Nationalität ihrer Besitzer wäre ein Verstoß gegen ISO 65 und das Diskriminierungsverbot. Bei Plantagen liegt der Fokus von Fairtrade auf den Arbeiterinnen und Arbeitern, nicht auf den Besitzern. Der aktuelle Fairtrade-Standard für Arbeiterinnen und Arbeiter auf Plantagen betrifft daher nicht den Privatbesitz der Eigentümerin. Die Standards schreiben u.a. vor, dass Mindestlöhne nicht unterschritten werden dürfen und Prämien auf ein nur für die Arbeitervertreter zugängliches Konto gezahlt werden müssen. Die Prämie kommt allein den Beschäftigten zugute. Über die Prämienverwendung im Sinne der Beschäftigten entscheidet alleine der „Joint Body/Prämienkommitee“, nicht der Plantagenbetreiber. FLO-Cert überprüft regelmäßig die Einhaltung der Standards.“
TransFair

Die gesamte Stellungnahme sowie der Live-Chat unter:

http://www.fairtrade-deutschland.de/top/news/detailseite-news-startseite/?no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=2110&cHash=284985828b2423de7a588c4c1d15e79a  

 

GEPA-Kundeninformation:

„Sehr geehrte Kundinnen und Kunden,

in der ARTE-Dokumentation „Fairer Handel auf dem Prüfstand“ setzt sich der Filmemacher Donatien Lemaître kritisch mit dem Fairen Handel auseinander. Kernaussage: Fairer Handel hat politisch angefangen und ist mittlerweile zur Marketing- und Profitmasche verkommen – auf Kosten der Menschen im Süden.

Fairer Handel klassisch: GEPA und CIRSA

Es gibt im Film nur einen konkreten Bezug zur GEPA: das Porträt der mexikanischen Kaffeegenossenschaft CIRSA am Anfang der Reportage. Der Film stellt positive Wirkungen des Fairen Handels heraus:

· Durch die Preisregelungen im Fairen Handel haben die Kleinbauern mehr Planungssicherheit

· Kleinbauern haben ein um 20 Prozent höheres Einkommen, bekommen zusätzliche Prämien

· Kleinbauern können ihren Kindern mehr Bildungschancen geben

· Durch Entwicklungszuschläge werden Gemeinschaftsprojekte (z. B.    Küchenneubauten) finanziert

 

Der Filmautor meint andererseits, Fairer Handel könne Armut nicht beseitigen. Wir meinen: Verglichen mit unseren hohen europäischen Standards stimmt das, verglichen mit ihren Ausgangsbedingungen haben die Bauern in 20 Jahren Fairer Handel jedoch viel erreicht. Denn die Lebenssituation von Kleinbauern in Chiapas ohne Fairen Handel ist deutlich schlechter. In Zeiten niedriger Weltmarktpreise wird Fairer Handel oft zur Überlebensfrage. Wir hätten es begrüßt, wenn dieser Unterschied noch deutlicher herausgestellt worden wäre. Auch die Bildungsperspektiven sind aus unserer Sicht ein Beleg für den nachhaltigen Erfolg des Fairen Handels: Ein „einfacher“ Kaffeebauer wie der im Film porträtierte Andrés Ruiz Gomez kann drei seiner fünf Kinder zur Universität schicken, keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass im reichen Deutschland laut OECD-Studie nur eine Minderheit von Kindern aus  Arbeiterfamilien eine Universität besucht. Der Film zeigt außerdem: Auch Kinder helfen nach der Schule in der elterlichen Landwirtschaft mit.

Das ist nach den internationalen Standards des Fairen Handels erlaubt; wogegen sich der Faire Handel wendet, ist ausbeuterische Kinderarbeit. Mithilfe im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb ist übrigens auch in Europa üblich. Näheres zur Definition von Kinderarbeit in unserer Stellungnahme unter  www.gepa.de

 

Missstände bei der Bananen- und Teeproduktion: Es geht auch anders Die im Film gezeigten Missstände bei einer Genossenschaft und Plantagen der  Bananen und Teeproduktion kennen wir nicht, da wir nicht mit diesen Partnern handeln. Der Eindruck im Film ist allerdings erschütternd. Die Vorwürfe richten sich gegen Fairtrade International und Rainforest Alliance; deshalb können wir dazu im Detail keine Stellung nehmen. Wir arbeiten ausschließlich beim Tee mit Plantagen zusammen. Hier haben wir mit dem Teegarten Samabeong unseres Partners Tea Promoters India (TPI) in Darjeeling gänzlich andere Erfahrungen gemacht. Die Lebensbedingungen der Teearbeiterinnen haben sich grundlegend verbessert, die Arbeitnehmervertretung entscheidet mit, wofür die Mehrpreise verwendet werden und die Bildungsmöglichkeiten an der  weiterführenden Schule sind bemerkenswert. Außerdem beschäftigt TPI eine Frau als Managerin des Teegartens. Sie ist in ganz Darjeeling die einzige Frau in dieser Position. 

Es geht um mehr als nur Kontrolle

Der Film stellt am Beispiel von Bananen- und Teeproduktion das Kontrollsystem im Fairen Handel in Frage. Auch wir stützen uns auf das Kontrollsystem von Fairtrade International – auch wenn die meisten GEPA-Produkte das Siegel nicht mehr tragen. Allerdings ist für uns und unsere Partner das gegenseitige Vertrauen, gewachsen durch langjährige, persönliche Kontakte, mindestens ebenso wichtig. Um eine größtmögliche Sicherheit für alle Handelspartner sicherzustellen, arbeiten wir mit fünf weiteren Monitoring- und Zertifizierungssystemen zusammen, u. a. mit der World Fair Trade Organization (WFTO).

Weitere Infos dazu unter folgendem Link: www.fairtrade.de/index.php/mID/3.3.3/lan/de

Reicht das? Wir meinen: Je mehr profitorientierte Großkonzerne in den Fairen Handel einsteigen, umso wichtiger ist es auch, das Geschäftsgebaren der Einkäufer zu kontrollieren und Praktiken anzuprangern, die der Philosophie des Fairen Handels widersprechen.

Supermärkte? Ja, aber mit Wenn und Aber

Ein Vertreter der französischen Fair-Handelsorganisation „Artisans du Monde“ spricht sich im Film gegen fair gehandelte Produkte in Supermarktketten aus. Aus unserer Sicht sind Lebensmittelmärkte als zusätzlicher Absatzkanal für unsere Handelspartner und Kunden mittlerweile unverzichtbar geworden. Für uns stellt sich also die Frage, wie, nicht ob wir mit Supermärkten handeln. Wir lassen uns dabei nicht verbiegen, scheuen uns nicht, Missstände in Wirtschaft, Politik und in internationalen Handelsregeln und -praktiken zu kritisieren. Denn wir möchten ein Höchstmaß an Fairness für unsere Partner im Süden sowie an Qualität für unsere Kunden im Norden gewährleisten. Margen können wir nicht beeinflussen, denn das Kartellrecht in Deutschland verbietet es, Endverbraucherpreise vorzuschreiben. Einzelhandelsmargen von bis zu 45 Prozent beim Kaffee (wie im Film angegeben) sind uns in Deutschland nicht bekannt. Wir halten daher eine solche Einschätzung für übertrieben.

Chancen, Grenzen und Risiken des Fairen Handels

Eine der Kernfragen des Films lautet: „Kann man so groß werden, ohne seine Werte zu verlieren?“ Diese Frage ist sehr berechtigt. Wer verändert wen? Verändern wir den Handel oder verändert der Handel am Ende uns? Diese Frage diskutieren auch wir Akteure des Fairen Handels immer wieder kontrovers. Größerer Absatz ist sicher im Interesse der vom Handel Benachteiligten. Konzerne können hier eine Chance bieten. Wir würden uns aber wünschen, dass nicht nur die Produzenten im Süden, sondern auch Händler hier stärkere Auflagen erfüllen müssten, um ihr Unternehmen insgesamt fairer zu machen. Es reicht für uns nicht aus, wenn Unternehmen einzelne Produkte zu fairen Preisen in ihr Sortiment aufnehmen. Nicht nur die Medien und Verbraucherorganisationen werden zunehmend kritischer, auch Verbraucherinnen und Verbraucher können mehr und mehr Einzelmaßnahmen von einer stimmigen, fairen Gesamtstrategie eines Unternehmens unterscheiden. Unsere eigenen Umfragen haben das bestätigt. Die GEPA steht für eine andere Form des Handel(n)s. Fairen Handel haben unsere Gesellschafter – ausnahmslos kirchliche Entwicklungs- und Nichtregierungsorganisationen – als Unternehmensziel im Gesellschaftervertrag festgeschrieben.

Diese sind:

· Förderung benachteiligter Produzentengruppen

· Bewusstseinsbildung der Verbraucher durch politische Arbeit (gemeinsam mit

   Weltläden)

· Mitwirkung bei strukturellen Veränderungen im Handel

   Was unsere Ansprüche an uns selbst, an unsere Handelspartner im Süden sowie unsere Vertriebskunden und Endkunden im Norden angeht, haben wir in den letzten Jahren die Messlatte noch höher gelegt:

· Wir zahlen z. B. Preise, die teilweise über Fairtrade-Standards liegen

· Wir erhöhen den Fair-Handels-Anteil in unseren Mischprodukten

· Wir legen Wert auf ein Höchstmaß an Transparenz, denn das ist ein Beweis für unsere Glaubwürdigkeit. So geben wir auch Musterkalkulationen von einzelnen  Produkten heraus.

Das sind nur einige der Punkte, die wir in unserer „Fair-Plus“-Strategie zusammengefasst haben. Mehr dazu unter fair-plus.de

„Wer wird sich durchsetzen: Fairness oder Handel?“ Auf die Frage des Films haben wir eine klare Antwort. Mögen andere den Akzent anders setzen, wir haben nicht aufgegeben, die Welt zu verändern. Das sind wir uns, unseren Gesellschaftern, unseren Handelspartnern und unseren Kunden schuldig. Es bleibt also noch viel zu tun. Packen wir’s gemeinsam an!
Thomas Speck, Geschäftsführer GEPA – The Fair Trade Company

 


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